05072025
Wir beglückwünschen sie, ihre Tochter hat das Bac bestanden und noch dazu mit der besten möglichen Bewertung. Wir finden, dass sie stolz sein kann und fragen pflichtbewusst nach den weiteren Plänen des begabten Kindes. Es geht an die Sorbonne.
Das Kind des anderen Kollegen geht an eine der hochklassierten Wirtschaftsschulen.
Meine Kollegen und ich sind Lehrer, Beamte der Kategorie A. Unsere Kinder machen einen mindestens guten Gymnasialabschluss und gehen an die besten Schulen und Universitäten studieren.
Und doch mischt sich in die Rührung über den Stolz der Mütter und Väter – ihre Kinder sind älter als ich, mir steht das noch bevor, oder nicht – ein deutliches Unbehagen. Denn er ruft Fragen hervor, die sich kürzlich auch beim Lesen von Edouard Louis und Didier Eribon schon stellten: die allermeisten Mütter und Väter wollen das Beste für ihre Kinder. Aber was genau ist das Beste und wie bemisst sich Stolz für andere Eltern, Kategorie B, C oder gar nicht?
Es geht hier nicht mal mehr um sozialen Aufstieg, es geht hier um Klassenerhalt. Bourdieu, bla. Und schon wenn man Bourdieu schreibt, platziert man sich von oben herab, man hat verstanden, man ist den ganzen langen Weg des Klassenbewusstseins gegangen. Man weiß um seine privilegierte Stellung in der Gesellschaft. Bravo! Man hat das Klassenziel erreicht.
Und genau da beginnt mein Übelsein, denn: was haben jetzt wir davon und wichtiger noch: was haben die anderen davon , Kategorie B,C, die Nicht-Bourdieu-Leser, die, die nicht mal auf die Idee kämen, Bourdieu zu lesen, weil sie ihn nicht kennen; keine Zeit für ihn haben, weil weil weil? Was bringt es denen, dass die anderen um ihre Privilegien wissen und die Welt in Kategorien und Vorstellungen noch immer spalten können?
Denn wenn die das alles wissen und sehen und verstehen: dass es Klassen gibt, die zu verlassen schwer ist, deren Reproduktion ein Quasi-Automatismus ist, warum tun sie nichts? Warum bleiben sie stehen und sehen nur nach unten: in die Armut, die soziale und kulturelle Misere, die nicht existieren sollte. Die jedoch existiert und immer existieren wird, solange wir, Kategorie A weiter am Klassenerhalt arbeiten und seine Fundamente in unserer Klasse nicht infrage stellen. Edouard Louis schreibt in „Monique s‘évade“ (Monique bricht aus) davon, wie er seiner Mutter libanesisches Essen bestellt, das sie noch nie gegessen hat und konstatiert von sich selbst überrascht (meine Mutter hat noch nie libanesisch gegessen), dass Armut auch bedeutet, manches noch nie probiert zu haben. Also schenkt er seiner Mutter diese Erfahrung.
Und da begann meine Übelkeit: das ist Paternalismus eines Aufsteigers seiner in der Armut verbliebenen Mutter gegenüber. Sein Aufstieg leuchtet um so heller, als er seiner Mutter anbietet, an seinen neuen Privilegien teilzuhaben. Er stellt sich nicht die Frage, was seine neue Klasse dazu beiträgt, Menschen wie seine Mutter in der ihren zu erhalten.
Nun hör aber mal auf, höre ich da aus der rechten Ecke meines linken Freundeskreises, wir haben schließlich hart dafür gearbeitet, dass wir heute sind, was wir sind. Haben wir, aber was wissen wir über die Arbeit derer, die nicht da angekommen sind, wir heute sind, Kategorie A, B…? Wer sind wir, das beurteilen zu können, wer sind wir, dass wir uns erlauben zu denken, wir wären mehr, hätten mehr getan, härter gearbeitet… ?!
Und sollen wir etwa nicht stolz sein auf das, was unsere Kinder erreichen?
Natürlich kann es darum nicht gehen. Aber genauso natürlich generiert der Kontext (Kategorie A…), in dem wir uns bewegen und den Stolz auf unsere Kinder teilen, neue Zwänge für uns und unsere Kinder, die sich von denen anderer „Klassen“ radikal unterscheiden. Darf der Sohn, die Tochter eines Beamten der Kategorie A, B… das Abi auch einfach nicht schaffen? Zumindest sprächen Papa und Mama wohl weniger laut und stolz über die schönen Perspektiven, die den Sprössling nach dem Scheitern erwarten. Und doch: ihre Klasse, ihre Bildung, ihr Einfluss, ihre Verbindungen und nicht zuletzt ihre finanzielle Sicherheit wird ihren Kindern dennoch in den allermeisten Fällen eine solide Zukunft sichern.
Das wissen wir ihre Eltern und das wissen unsere Kinder und das auch die über uns, die das nicht kennen.
Das zu wissen und zu wissen, dass das immer so weiter gehen wird, steht am Beginn meines Übelseins.
Ich habe – natürlich! – keine Lösung für dieses Problem, nicht für die Armut der einen, nicht für den Reichtum der anderen, ich habe nicht einmal meine Übelkeit bei solchen Gesprächen im Griff.
Ich denke nur und schlage vor, dass wir manchmal einfach mal zuhören zuschauen, immer wieder Fragen stellen, und zwar vor allem an uns selbst. Dass wir unseren linken Freundeskreis und seine Rechten Ecken einfach mal ausblenden, ignorieren und am Ende vergessen. Und im Zweifelsfall einfach mal die Klappe halten.
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